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ICOM Independent Comic Preis

Die Laudationes der Siegertitel

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Bester Independent Comic (Selbstpublikation)





"Drinnen"
von Sascha Dörp

1. Januar 2021: Während sich der überwiegende Anteil der menschlichen Erdbewohner im "Verarbeitungsmodus Jahreswechsel" befindet, sitzt eines dieser Wesen irgendwo an einem Schreibtisch. Es zeichnet. Das Wesen ist Sascha Dörp, der den perfiden Plan in die Tat umsetzt, ein Jahr lang an jedem Tag ab dato ein neues Panel im Social Web zu veröffentlichen, vollkommen gratis - 365 Stück an der Zahl. Und so ward „Drinnen“ geschaffen.

Der Titel an sich wirkt neutral. Drinnen ist halt nicht draußen. Wer Sascha kennt, ahnt, dass das nicht alles ist. Das Deckblatt: ein Rapport aus Beton und Glas. Eine Wohnbatterie - normiert, stereotyp - eine kompakte Modul-Einheit. Darüber der Titel in dürren Lettern mit einem blutroten „I“, welches sich nach unten hin ergießt. Spätestens jetzt ist gewiss: Hier stimmt was nicht. Der Untertitel bestätigt die Vermutung: Horror im Plattenbau. Zeitlich ist die Geschichte um das Jahr 1984 angesiedelt. Und da liegt er auch schon: der blutige Hammer! Ab jetzt gibt es kein zurück mehr - die Geschichte baut sich auf.

Am Tisch sitzt Oliver, der nach dem Tod des Vaters mit seiner Mutter in den Plattenbau zog. Draußen ist der Regen so stark, dass die Schule ausfällt. Langeweile deutet sich an, denn Oli kennt niemanden im Block. Da ruft ihm die Mutter im Gehen zu, er möge doch mit dem Fotoapparat losziehen. Das macht der Junge prompt und entdeckt in den langen Fluren etwas, das er nie erwartet hätte. Ist es menschlich, ist es ein Gefühl, existiert es nur in seinem Kopf? Oli mag es nicht hier. Er sucht Motive. Aufzug - Etage 13 - eine fiese Hochhaus-Gang macht Stress - Oli flüchtet, findet Marillo und andere Kinder. Sie bilden einen wilden Haufen illustrer Individualisten, die so gar nicht ins triste Graumassiv passen. Als "Geheimbund" versuchen sie, einfach Spaß zu haben. Der merkwürdige Nachbar mit dem Rautenmusterpulli weckt Furcht. Tobi verschwindet, dann weitere Kinder. Zeit wiederholt sich, Perspektiven summieren sich, Hinweise zeigen sich - die Spannung steigert sich rasant, reißt den Grusel mit sich.

Der ICOM zeichnet "Drinnen" als besten Independent Comic in der Kategorie "Selbstveröffentlichung" aus. Sascha Dörp hat hier ein Werk geschaffen, welches uns das Blut in den Haar-Follikeln gefrieren lässt, was zu einer Gänsehaut führt, die sich sowohl ektodermal wie endodermal ausprägt.

"Drinnen" ist ein Sammelsurium von Fragmenten menschlichen Denkens, Spürens, Verhaltens, Seins. Der Plattenbau – ein vielschichtiger Ort. Verschlungene Gänge, sozialer Brennpunkt. Mehr wird nicht verraten!

Danke Sascha, dass du uns über die eigene Wahrnehmungsgrenze gestoßen hast. Die Asche der voreiligen Schlüsse flimmert noch in der Luft. Herzlichen Glückwunsch an dich!

Sandra Nußer


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