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ICOM Independent Comic Preis

Schattenspiel

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Schattenspiel
von Luise Mirdita

Mit Bleistift sensibel und treffsicher gezeichnet, bei makelloser Perspektive und gelungener Anatomie stellt Luise Mirdita aus Freilassing ihr Debüt vor. Auf eine Reverenz an den Traum-Altmeister Winsor McCay kann eine solche Geschichte nicht verzichten. Doch während der Illustrations-Kosmos der Kinderbuchautorin Mirdita sonst fröhlich-bunt ausgekleidet wird, beweist sie hier, dass sich Comic-Träume von Heranwachsenden ohne farblichen Aufwand, nämlich in spartanischem Schwarzweiß wiedergeben lassen – mit zarten Schraffuren, weichen Schattierungen und virtuos-freiem Umgang mit Panel-Strukturen. Die Erzählung führt ins leidvolle Milieu des Teenie-Alters, in dem sich die eigene Individualität und Körperlichkeit quälend und peinlich bemerkbar macht. Als umsorgtes Einzelkind wächst Karlotta auf, die anfangs zwischen Einfamilienhäusern, Gärten und Turnplätzen mit dem schüchternen, smartphone- und computerspiel-begeisterten Felix abhängt. Unreine Haut, gehässige Banknachbarn, das Auf und Ab in der Bewertungsskala der Mitmenschen machen zu schaffen und Eltern nerven mit der ahnungslosen Ermunterung: "Sei ganz du selbst! So selbstbewusst und lustig, wie du's sonst bist!" Karlotta wendet sich Judy, einer Freundin aus Grundschultagen, und deren sportiven Freundinnen zu, probiert neue Rollen aus, lässt sich zu Schminkvideos überreden und sogar zur Co-Klassensprecherin wählen. Diesen Wandel begleiten allnächtlich wiederkehrende Träume, die ihr eine fremde, surreale Welt erschließen: Schwebende Schienen mit Balkons als Bahnsteigkante laden zur Mitreise ein, riesige Spielwürfel auf Hochhäusern und absurd getextete Leuchtreklamen wechseln ab mit bewohnbaren Bäumen und verwirrenden unterirdischen Kanalsystemen. Karlotta wird in dieser Traumwelt "Charlotte" genannt, hat zopftaugliches Langhaar und einen gefiederten Mantel. Tatsächlich übersteht sie mit einer Gruppe Jugendlicher, die nicht zufällig ihren Schulfreunde ähneln, Verfolgungsjagden im Flugmodus. Das gipfelt in Geiselnahme und Krieg mit den maskierten "Falschen" und "Rudyu.wxke08", deren Reich namens Felicity mitsamt dem bullaugen-genoppten Turm am Ende von explosiven Funny-face-Ballons zum Einsturz gebracht wird. Am Ende muss sich Karlotta von ihrem Traum-Ich, dem sie ein letztes Mal im Nahverkehrszug begegnet, verabschieden – und ihren auch in der Realtät von Fallstricken wie Heuchelei und Femdbestimmung gesäumten Weg selber finden.

Nikolaus Gatter




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