ICOM Independent Comic Preis
Viktoria Aal
von
, 22.05.2024 um 10:00 (8075 Hits)
Die Nominierungen zum ICOM Independent Comic Preis (14)
Viktoria Aal
von Wiebke Bolduan
Mit Seetangverschlingung auf Meta-Beta-Ebenen ist in diesem Comic ebenso zu rechnen wie mit abstrusen Denglisch-Verschriftlichungen. Wiebke Bolduan hat eine anrührende, nominierenswerte Coming-of-age-Geschichte gestaltet, die einen Preis verdient hätte. Die schüchterne Bruks gerät unversehens in die Probe einer Tauchshow im Aqua-Center "Seafun" und lernt Henri kennen, die androgyne Nixendarstellerin Henri. Als WG-Partnerinnen versorgen sie sich gegenseitig mit einer Wärmflasche nach der anderen, und doch fehlt etwas zum Glück. Bruks' unsichtbare Unter-Wasser-Freundin Viktoria Aal wird Heldin eines heimlich geschriebenen Romans, den der schurkischen, punk-bezopften Verlagslektor David Dave ohne Nennung der Autorin druckt, und im Flossenumdrehen teilt sich die social-media-Leser*innenschaft in Non-Be- und sogenannte "Aallievers" – diejenigen, die an eine echte Meerjungfrautobiographie glauben, und solche, die eine real existierende Anonyma am Werk sehen. Als eine Lesung angesetzt wird, bei der Bruks, die sich mit ihrem Werk gar nicht mehr idenfiziert, einspringt und die angeblich erkrankte Autorin gibt, die sie doch in Wirklichkeit selber ist, kommt es zur Katastrophe ... Das komplexe Erzählwerk wird in zart blau-grün kolorierte, schwungvolle Zeichnungen umgesetzt. Die Sphäre der Viktoria-Aal-Dialoge mit Bruks geht unmerklich in die zeitlose Aquarienwelt und in die salzverkrustete Kachel-Landschaft des Schwimmbeckens über, an dessen Rand Tauchsportler im Stuhlkreis debattieren. Am Ende geht es um die Frage aller Nixenmärchen: Was passiert, wenn sich die Undine mit sterblichen, fehlbaren Menschwesen verpartnert, wenn das Mauerblümchen im Seegras aufblüht und die Wasserfee zurück in ihr fluides Element will?
Nikolaus Gatter
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