Sonderpreis der Jury für eine besondere Leistung oder Publikation

"Comic-Clash",
ausgeschrieben von "Moga Mobo" und "Epidermophytie"


Ein bisschen unspektakulär ist der Comic-Clash, die große Schlacht der Comicmagazine, ja schon gestartet. Viele hatten ihn nicht so richtig auf dem Schirm, Wettbewerbe gibt es viele, und die Teilnahmebedingungen waren ziemlich anspruchsvoll: Mindestens 300 Hefte sollten verlegt werden, und das von je mindestens drei Personen. Eine Mitarbeit an mehreren Magazinen war nicht erlaubt, dafür aber explizit das Abwerben untereinander. Und dann direkt so ein Thema wie „Der Sinn des Lebens“, oh weh. Als dann die prominent besetzte Jury bekannt wurde, ahnte man schon ein bisschen, dass man sich in der ersten Einschätzung etwas vertan haben könnte. Und als die ersten Teilnehmer und Magazine feststanden, war klar, dass da wohl doch eher was Größeres auf die deutschsprachige Comicszene zukommen könnte.

Aber was für ein Sturm dann über den Comic-Salon 2012 hinwegfegte, war einzigartig. Von 20 teilnehmenden Magazinen wurden elf aufgrund des Comic-Clashs gegründet. Die Qualität der Arbeiten war zum Teil überragend. Die Initiatorenmagazine "Mofa Mobo" und "Epidermophytie" hatten keine Kosten und Mühen gescheut, die Zeichnerschlachten auch live auf dem Comic-Salon in Erlangen auf der großen Bühne als Riesengaudi fortzuführen und dort schlussendlich nach Jury-, Publikums- und Teilnehmerabstimmung den Sieger zu küren (der im übrigen „oh“ heißt und eine der Neugründungen ist).

Beide Magazine sind altehrwürdige Institutionen. Trotzdem haben sie eine unglaubliche Menge frischen Wind in die Independent-Comicszene gebracht, und das kann ihnen nicht hoch genug angerechnet werden. Wir zeichnen die Teams von "Mofa Mobo" und "Epidermophytie" für ihr herausragendes Engagement, die Förderung und die Vernetzung der deutschsprachigen Comicszene aus – und nicht zuletzt für den immensen Spaß, den sowohl die Künstler und die Leser beim Comic-Clash als auch das Publikum auf dem Comic-Salon hatten.

Frauke Pfeiffer

Lobende Erwähnungen

"Earth unplugged"
von Jennifer Daniel
(Jaja Verlag)

Ein Sonnensturm trifft die Erde und weltweit geht das Licht aus. Strom war gestern, heute muss die Menschheit sehen, wie es weitergeht. Für die meisten heißt das: raus aus der Stadt. 2012, im Jahr des vermeintlichen Weltuntergangs, reiht sich Jennifer Daniels „Earth unplugged“ (Jaja Verlag) in eine Vielzahl von Versuchen ein, die Stimmung eines katastrophenbedingten Umbruchs einzufangen und vor dem Hintergrund eines Ausnahmezustands eine Geschichte zu erzählen.

Daniels Werk gehört dabei eindeutig zu den gelungenen, besonderen Werken der Strömung. Beklemmend, aber gleichzeitig warmherzig und irgendwie versöhnlich kommt die Autorin ganz ohne das große Drama und Massensterben aus. Künstlerisch setzt sie sich kreativ und spielerisch mit den Regeln des Seitenaufbaus auseinander, arbeitet mit groberen Strichen und liebevollen Details. Getreu dem Motto des Jaja Verlags ist Jennifer Daniels „Earth unplugged“ ein „kleines feines illustriertes Machwerk“ – ein bemerkenswerter Comic.

Anne Delseit
"zuhause während der digitalen Revolution"
von Wolfgang Buechs
(Jungle World Ventil)

Mit "zuhause während der digitalen revolution" liegt nun die Printausgabe des Online-Comics gleichen Namens (digirev.de) vor. Und sie hat mich, der den Strip vorher nicht kannte, von der ersten Seite an fasziniert hat. In den weißen Panels, die bis auf die oben schwebende Maschinenschrift meist nur von zeichnerisch simpel gehaltenen, flächig bunten anthropomorphen Funny-Tieren bevölkert werden, dominiert eindeutig der Inhalt über die Form. Und Inhalt gibt es viel: Überlegungen zu soziokulturellen Veränderungen in Deutschland, zum Prekariat, zu den "digital natives", aber auch zu den Resten des NS-Erbes, das auf verschiedene Weisen auch noch von der x-ten Nachkriegsgeneration mitgeschleppt wird. Man kann viel lernen in diesem pragmatischen, manchmal auch etwas depressivem aber dennoch von subtilem Humor getragenen Online-Strip. Jetzt eben auch gedruckt, quadratisch, praktisch gut bei Jungle World Ventil.

Zusatztipp: in der Webversion kann man mithilfe von Querverweisen nicht nur zeitlich linear sondern auch thematisch verbunden durch die Strips surfen.

Harald Havas
"White Line"
von Calle Claus (
Edition 52)

Der rote Faden einer Geschichte ist in diesem Fall eine markante weiße Linie, die den namenlosen Protagonisten von vorne bis hinten durch die einzelnen Kapitel von "White Line" führt. Nach einer verkorksten Partynacht inklusive Beziehungsstress folgt er aus einer Laune heraus der titelgebenden weißen Linie – mal aufgemalt, mal aus Steinen oder Muscheln gelegt. Ebenso wie der Leser weiß er zwar nicht so recht, warum er das macht – zuerst scheint es der Frust, später offenbart sich ein tiefes Bedürfnis nach Geborgenheit, das gänzlich ohne Sprache auskommt. Die Beweggründe – aber auch die Frage nach Schein oder Sein – stehen dabei gar nicht zur Diskussion. Vielmehr kann sich der Leser an Calle Claus‘ zum Teil wunderbar filmischen Inszenierungen und Panelanordnungen erfreuen. Der niedlich wirkende, recht simple Zeichenstil steht dabei im faszinierenden Gegensatz zum teilweise recht deftigen Inhalt und den surrealen Ereignissen. "White Line" zieht den Leser genau wie den Protagonisten in seinen Bann, obwohl man gar nicht exakt sagen kann, wieso.

Frauke Pfeiffer
"Schatz"
von Yi Luo (aka Yinfinity)
(in "Jazam! 7")

Das kleine Mädchen Lulu öffnet aus Neugierde den sogenannten Schatz ihrer Mutter, der aus einem leeren Marmeladenglas besteht. Durch ein Gespräch mit ihrem Vater findet sie heraus, dass ihre Mutter, die aus einer fernen Stadt stammt, darin die Luft ihrer alten Heimat als Andenken eingefangen hat und diese sie tröstete, wenn sie traurig war. Das Mädchen und ihr Vater erzählen der Mutter nicht, dass die Luft in ihrem "Schatz-Glas" ja nun leider durch Lulus Neugierde ausgetauscht wurde. Als das Mädchen älter wird und in ein anderes Land zieht, beschließt sie, diesen Schatz ebenfalls zu behüten, denn er trägt nicht nur die Sehnsucht ihrer Mutter nach deren Heimat in sich, sondern auch die von Lulu nach ihrer Mutter in Form der nun gespeicherten Luft.

Im griechischen Mythos der Büchse der Pandora wird am Ende die Hoffnung aus dem Gefäß freigesetzt. In Frank Wedekinds gleichnamigen Drama "Die Büchse der Pandora" heißt die Hauptperson ebenfalls Lulu, was eine schöne Analogie darstellt, denn in dem Schatz der Mutter befindet sich auch die Hoffnung.

In einer Zeit, in der erfolgreiche Comics oft durch moderne Computertechnik überladen glanzpunkten, wirken Yinfinitys einfache und klare Zeichnungen sehr erfrischend und wohltuend. Mit "Schatz" ist der aus China stammenden und heute in Augsburg lebenden Zeichnerin ein wunderschöner Kurzcomic gelungen.

Gerhard Schlegel
Die Jury

Anne M. Delseit (Köln)
Harald Havas (Wien)
Frauke Pfeiffer (Weinheim)
Gerhard Schlegel (München)