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Hybrid-Darstellung

  1. #1
    Lukas Wilde
    Gast
    Du hast das viel schöner erklärt als ich, Christian... ich finde es auch immer wieder bemerkenswert, dass an dieser Stelle so häufig ein Bedürfnis nach "klaren Kriterien" und "eindeutiger Verständigung" artikuliert wird, wofür ich grundsätzlich allergrößtes Verständnis habe. Aber vielleicht ist es hilfreich, auch nochmal kurz über den Unterschied von sogenannter "ordinary language" und einem "terminus technicus", einem Fachbegriff, nachzudenken.

    Ein Begriff - wie "Comic" - ist zunächst mal eine Unterscheidung. Indem wir einen Begriff auf einige Gegenstände anwenden und auf andere nicht, klassifizieren wir damit alle diejenigen Gegenstände, auf die wir ihn anwenden, und unterscheiden sie damit zugleich von denjenigen, auf die wir ihn nicht anwenden. Es spräche nichts dagegen, einen Begriff für alle Gegenstände vorzuschlagen, die man in einem Fahrradkorb transportieren kann - nur hätte dieser keinen allzu großen Anwendungsbereich.

    Die Begriffe, die man eher anhand ihrer Definition ("intensional") verwendet, sind Fachbegriffe, die explizit per Setzung eingeführt werden und damit ihre "Willkürlichkeit" auch gar nicht verschleiern müssen - oder auf eine wissenschaftliche Begriffsgeschichte zurückblicken können. Dietrich Grünewald definiert einfach, was er unter einem "Prinzip Bildergeschichte" verstanden wissen will, und dann können wir anhand dessen schauen, ob wir etwas Neues oder Interessantes über Gegenstandsbereiche erfahren, auf die sein Begriff möglicherweise zutrifft. Das halte ich für sehr sinnvoll. Groensteen denkt sich "ikonische Solidarität" aus, benennt, was er darunter versteht, nun kann die Debatte beginnen! Für solche Fachbegriffe sind harte Kriterien und klare Definitionen nützlich und sinnvoll. Man würde daher auch nicht sagen, ein Fachbegriff wie "Fokalisierung" oder "Narrativität" ist "das, was darunter verstanden wird"; weil es auch keine "Fokalisierungs Con Germany", keine "fokalisierungsgate.de"-Rezensionsseiten und kein "Fokalisierungs-Regal" in der Buchhandlung gibt.

    Das ist bei dem Terminus "Comic" natürlich anders. Der existiert ja bereits. Hier gibt es sogar viele professionelle Personengruppen (Künstler_innen, Rezensent_innen, Händler_innen, Herausgeber_innen, Messeleiter_innen, Druckereien, Vertriebe u.v.m.) die ein professionelles Interesse an ihrer jeweils eigenen Verständigung mit- und untereinander haben und dabei viele eigene ökonomische, strategische und politische Ziele verfolgen. Das ist nicht nur legitim, sondern auch unabdingbar. Eine solche Bezeichnung wird daher in den seltensten Fällen intensional (nach einer Definition, nach wessen auch?) verwendet werden, sondern eher extensional: man sieht, was ein "Comic" ist, daran, indem man sich anschaut, wie der Term (historisch, kulturell und sozial höchst wandelbar) verwendet wird. Mit Wittgenstein würde man von Sprachspielen sprechen, die immer schon am Laufen sind. Diese Spiele und ihre impliziten Regeln - die von Machtansprüchen und Hoheitskämpfen zwischen unterschiedlichen Akteursgruppen durchzogen sein werden, denn wie sollte es auch anders sein - kann man studieren, und das ist höchst aufschlussreich. Zumeist sind sie ja auch nicht ganz beliebig, sondern haben eine Prototypen-Struktur. Wenn man sich anschaut, wie der Terminus "Comic" verwendet wurde und wird, stößt man so auf interessante *typische* Muster, die sich aber auch drastisch verschieben können (Beispiel diagrammatische Webcomics wie XKCD, die nicht einmal mehr mit "Bildergeschichten" etwas zu tun haben, dennoch aber ganz klar unter demlr Bezeichnung "Comic" adressiert werden).

    Was man zumeist nicht tun kann, ist, die normale Sprache zu regulieren; Vorschriften für all diese Sprachspiele und Verständigungspraxen zu machen, die innerhalb all unserer Akteursgruppen tagtäglich stattfinden. Im allerbesten Fall wäre ein solcher Regulationsversuch ambige und missverständlich: man müsste eigentlich immer mit angeben (wenn man etwa vom "Comic" spricht), ob man nun den (eher intensional regulierten) Fachbegriff oder den (eher extensional verwendeten) Alltagsbegriff meint. Und dann sind es eigentlich ja doch zwei Begriffe (mit der gleichen Bezeichnung), die man auch gleich so erkenntlich machen und voneinander unterscheiden kann. Das macht die Sprache dann tatsächlich klarer und verständlicher.
    Geändert von Unregistriert (03.07.2018 um 11:12 Uhr)

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