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Hybrid-Darstellung

  1. #1
    Das aber weniger willkürlich als der von Alexander Braun bevorzugte Ansatz, der genaugenommen alle Graphic Novels und viele Mangaserien ausschließt. Und zudem den gesamten deutschen Comicmarkt mit Ausnahme von "Asterix" und "Mecki".

    Ich halte Definitionen schon mal für hilfreich, wenn geklärt werden soll, ob man überhaupt von der selben Sache spricht. Da kann es dann auch sich widersprechende geben, man sollte sich dann nur auf eine einigen.

    Und dann sollten Definitionen nach Möglichkeit auch bei einem einzelnen Comic greifen, nicht nur bei einer diffusen Gesamtmenge. Dazu mehr an anderer Stelle.

  2. #2
    Christian Bachmann
    Gast
    Jede Definition ist ihrem Wesen nach willkürlich, manche wirken nur "natürlicher" als andere. Mick Baxter, du suchst augenscheinlich nach einer ahistorischen (überzeitlichen) Definition, die möglichst viele historische (zeitspezifische) Formen 'graphischer Narration'* umfasst. Solche Definitionen kann man formulieren, sie müssen aber sehr viel Heterogenes umfassen und werden entsprechend vage. Ein Beispiel dafür ist McClouds berühmte Definition. McCloud wählt (willkürlich) die Form des Erzählens als Basis seiner Definition aus: mindestzahl von Panels, Bilder, ggf. Texte, in Kombination etc. pp. Dabei lässt er jedoch manches andere Kriterium weg. Eine Definition könnte zum Beispiel auch das Herkunftsland des Produkts einbeziehen (bspw. Manga = graphische Narration aus Japan), eine andere Definition die Funktion (Comic = unterhaltende seriell produzierte und repzipierte Bilderfolge in Tageszeitungen), die Möglichkeiten sind hier Vielfältig und richten sich allein nach dem Zweck der Definition. Es lohnt sich angesichts einer bestimmten Defintion immer zu fragen, warum sie genau so formuliert wurde, wie sie es wurde. McCloud zum Beispiel benötigt mindestens deshalb eine rein formale Definition, damit er (a) Inhalte und Akteuere ausblenden kann, (b) internationale Beispiele bringen kann (Manga, Comic) und (c) Phänomene unterschiedlicher historischer Provenienz einbeziehen kann. Das ist deshalb wichtig für ihn, weil sein Buch und mithin auch seine Definition politisch motiviert ist: Er möchte Comics nobilitieren, indem er sie zu einer Form stilisiert, die "künstlerisch" genutzt werden kann. Damit kann er übergehen, dass diese Form zum Zeitpunkt der Formulierung seiner Definition überwiegend gerade nicht "künstlerisch" genutzt wurde. Indem er "Comics" (als Kanne) von ihren Inhalten (als Getränk in der Kanne) trennt, muss er zum Beispiel nicht darauf eingehen, dass viele Comics erzählerisch und inhaltlich schrott sind. Vgl. Lukas Hinweis dazu, dass Definitionen Ausschließmechanismen sind. Es ist natürlich legitim, das so zu machen. Ich würde aber als Gegenposition entgegenhalten, dass viele Charakteristika von Comics entwickelt wurden, um bestimmte Inhalte graphisch darzustellen. (In meinem Buch über Musik im Comic habe ich versucht, das an wenigen Beispielen zu zeigen. Ein Buch zu weiteren Beispielen kommt demnächst.)

    * Graphische Narration/graphic narrative ist ein Begriff, der in jüngerer Zeit als Oberbegriff herangezogen wurde, um darunter verschiedene historische Ausprägungen zu subsummieren. Er wäre womöglich einen eigenen Thread wert.

  3. #3
    Lukas Wilde
    Gast
    Du hast das viel schöner erklärt als ich, Christian... ich finde es auch immer wieder bemerkenswert, dass an dieser Stelle so häufig ein Bedürfnis nach "klaren Kriterien" und "eindeutiger Verständigung" artikuliert wird, wofür ich grundsätzlich allergrößtes Verständnis habe. Aber vielleicht ist es hilfreich, auch nochmal kurz über den Unterschied von sogenannter "ordinary language" und einem "terminus technicus", einem Fachbegriff, nachzudenken.

    Ein Begriff - wie "Comic" - ist zunächst mal eine Unterscheidung. Indem wir einen Begriff auf einige Gegenstände anwenden und auf andere nicht, klassifizieren wir damit alle diejenigen Gegenstände, auf die wir ihn anwenden, und unterscheiden sie damit zugleich von denjenigen, auf die wir ihn nicht anwenden. Es spräche nichts dagegen, einen Begriff für alle Gegenstände vorzuschlagen, die man in einem Fahrradkorb transportieren kann - nur hätte dieser keinen allzu großen Anwendungsbereich.

    Die Begriffe, die man eher anhand ihrer Definition ("intensional") verwendet, sind Fachbegriffe, die explizit per Setzung eingeführt werden und damit ihre "Willkürlichkeit" auch gar nicht verschleiern müssen - oder auf eine wissenschaftliche Begriffsgeschichte zurückblicken können. Dietrich Grünewald definiert einfach, was er unter einem "Prinzip Bildergeschichte" verstanden wissen will, und dann können wir anhand dessen schauen, ob wir etwas Neues oder Interessantes über Gegenstandsbereiche erfahren, auf die sein Begriff möglicherweise zutrifft. Das halte ich für sehr sinnvoll. Groensteen denkt sich "ikonische Solidarität" aus, benennt, was er darunter versteht, nun kann die Debatte beginnen! Für solche Fachbegriffe sind harte Kriterien und klare Definitionen nützlich und sinnvoll. Man würde daher auch nicht sagen, ein Fachbegriff wie "Fokalisierung" oder "Narrativität" ist "das, was darunter verstanden wird"; weil es auch keine "Fokalisierungs Con Germany", keine "fokalisierungsgate.de"-Rezensionsseiten und kein "Fokalisierungs-Regal" in der Buchhandlung gibt.

    Das ist bei dem Terminus "Comic" natürlich anders. Der existiert ja bereits. Hier gibt es sogar viele professionelle Personengruppen (Künstler_innen, Rezensent_innen, Händler_innen, Herausgeber_innen, Messeleiter_innen, Druckereien, Vertriebe u.v.m.) die ein professionelles Interesse an ihrer jeweils eigenen Verständigung mit- und untereinander haben und dabei viele eigene ökonomische, strategische und politische Ziele verfolgen. Das ist nicht nur legitim, sondern auch unabdingbar. Eine solche Bezeichnung wird daher in den seltensten Fällen intensional (nach einer Definition, nach wessen auch?) verwendet werden, sondern eher extensional: man sieht, was ein "Comic" ist, daran, indem man sich anschaut, wie der Term (historisch, kulturell und sozial höchst wandelbar) verwendet wird. Mit Wittgenstein würde man von Sprachspielen sprechen, die immer schon am Laufen sind. Diese Spiele und ihre impliziten Regeln - die von Machtansprüchen und Hoheitskämpfen zwischen unterschiedlichen Akteursgruppen durchzogen sein werden, denn wie sollte es auch anders sein - kann man studieren, und das ist höchst aufschlussreich. Zumeist sind sie ja auch nicht ganz beliebig, sondern haben eine Prototypen-Struktur. Wenn man sich anschaut, wie der Terminus "Comic" verwendet wurde und wird, stößt man so auf interessante *typische* Muster, die sich aber auch drastisch verschieben können (Beispiel diagrammatische Webcomics wie XKCD, die nicht einmal mehr mit "Bildergeschichten" etwas zu tun haben, dennoch aber ganz klar unter demlr Bezeichnung "Comic" adressiert werden).

    Was man zumeist nicht tun kann, ist, die normale Sprache zu regulieren; Vorschriften für all diese Sprachspiele und Verständigungspraxen zu machen, die innerhalb all unserer Akteursgruppen tagtäglich stattfinden. Im allerbesten Fall wäre ein solcher Regulationsversuch ambige und missverständlich: man müsste eigentlich immer mit angeben (wenn man etwa vom "Comic" spricht), ob man nun den (eher intensional regulierten) Fachbegriff oder den (eher extensional verwendeten) Alltagsbegriff meint. Und dann sind es eigentlich ja doch zwei Begriffe (mit der gleichen Bezeichnung), die man auch gleich so erkenntlich machen und voneinander unterscheiden kann. Das macht die Sprache dann tatsächlich klarer und verständlicher.
    Geändert von Unregistriert (03.07.2018 um 11:12 Uhr)

  4. #4
    Zitat Zitat von Christian Bachmann Beitrag anzeigen
    Eine Definition könnte zum Beispiel auch das Herkunftsland des Produkts einbeziehen (bspw. Manga = graphische Narration aus Japan), eine andere Definition die Funktion (Comic = unterhaltende seriell produzierte und repzipierte Bilderfolge in Tageszeitungen), die Möglichkeiten sind hier Vielfältig und richten sich allein nach dem Zweck der Definition.
    Eine Defintion, die das Herkunftsland einbezieht, KANN aber keine Definition für ALLE Comics sein. Und wenn nur in EINEM Land Comics gezeichnet/produziert würden, wäre das Kriterium sinnlos. Das ist dann wie Wirbeltiere und Stoffwechsel.

    Zitat Zitat von Christian Bachmann Beitrag anzeigen
    Vgl. Lukas Hinweis dazu, dass Definitionen Ausschließmechanismen sind. Es ist natürlich legitim, das so zu machen.
    Natürlich ist es legitim. Aber wenn eine Definition mehr ausschließt als einschließt, was allgemein unter dem Begriff verstanden wird, darunter auch den schöpferischen Akt selber, darf sie auch als bescheuert bezeichnet werden.

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