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  1. #1

    Comics nach Scott McCloud

    Scott McCloud hat mit seiner Formulierung einer Definition in "Understanding Comics" die Kriterien endlich auf die Comics selber reduziert und läßt solche, die mit dem Comic selber nichts zu tun haben, einfach weg.




    Damit wird das, was unter "Comics" gefaßt wird, sehr umfangreich. Das war allerdings auch die formulierte Absicht.




    Mit "anderen Zeichen" sind in erster Linie Buchstaben gemeint. Das hier ist also ein Comic (diese Meinung vertritt auch der Autor des Beispiels):






    Aber was unterscheidet die zu räumlichen Sequenzen angeordneten anderen Zeichen von einem ganz normalen Buch, einer Zeitschrift oder einem Werbezettel? Daß dabei auch Teile der konkreten Poesie und der grafischen Musiknotation unter "Comics" subsumiert werden, kann man verschmerzen.

    Manche betrübt es dagegen sehr, daß Cartoons dabei aus dem Gesamtpaket herausfallen. Aber Cartoons sind nun mal keine Comics. Oder nur manchmal.

  2. #2
    Christian Bachmann
    Gast
    Ich würde davon abraten, McClouds Definition in ihrer deutschen Übersetzung heranzuziehen. Die Übersetzung verkompliziert nämlich einiges, indem sie den Begriff "Zeichen" einführt. Im Original heißt es: "Comics are juxtaposed pictorial and other images in a deliberate sequence, intended to convey information and/or produce an aesthetic response in the viewer." Die Reichweite von "Zeichen" ist wesentlich größer als der von "images". Beide sind natürlich für sich genommen wieder erklärungsbedürftig. Das ist ganz grundsätzlich bei Definitionsbemühungen zu berücksichtgen: Integriert man in eine Definition andere komplexe Begriffen, müssen auch diese definiert werden. Sprachlich Äußerungen sind nie auf eine letztgültige Bedeutung zu fixieren, aber man sollte das im Rahmen einer Definition zumindest anstreben.

    Du schreibst: "Scott McCloud hat mit seiner Formulierung einer Definition in 'Understanding Comics' die Kriterien endlich auf die Comics selber reduziert und läßt solche, die mit dem Comic selber nichts zu tun haben, einfach weg".

    Meine Frage dazu wäre: Was ist "der Comic selber"?
    Ich kann z.B. ein Sonett wiefolgt definieren: "ein 14zeil. Gedicht, das sich aus 2 Vierzeilern [...] [Quartette] und zwei Dreizeilern [...] [Terzette] zusammensetzt. Quartette und Terzette sind in sich durchgereimt" (Metzler Literaturlexikon, Art. "Sonett", S. 432). Wie muss eine Definition für den Comic beschaffen sein, damit sie die gleiche Trennschärfe hat? Zum Vergleich die Definition des Romans aus dem gleichen Band: "Großform der Erzählunst in Prosa, die sich dadurch schon äußerlich vom Epos u. vom Vers-R. ebenso unterscheidet wie durch Umfang u. Vielschichtigkeit von ep. Kleinformen, insbes. von Novelle u. Kurzgeschichte." (Ebd., S. 394).
    Der begriff Roman bezeichnet eine derart komplexe Menge von Phänomenen, dass hier vornehmlich der Versuch unternommen wird, ihn ex negativo zu bestimmen, nämlich durch Abgrenzung von anderen Formen. Jetzt müssen aber alle diese anderen Formen erst einmal definiert werden, damit ich den Roman davon abgrenzen kann. Das Sonett macht es da viel einfacher: Es weist in seiner Grundform einen geringen Komplexitätsgrad auf, der mit wenigen, gut definierten Begriffen beschrieben werden kann.

    Nun könnte ich z.B. einen Daily Strip (tentativ) definiern als: "narrative Sequenz von in der Regel drei bis fünf Bildern, abgedruckt in einer Tageszeitung". "Comic", als Oberbegriff von Sunday, Daily, Heft, ... müsste ich dagegen eher definieren wie "Roman", scheint mir.

  3. #3
    intended to convey information and/or produce an aesthetic response in the viewer.
    Was will uns McCloud damit sagen? Schließt diese Einschränkung denn irgendwas aus?

    Und was ist die "deliberate sequenz"? Eine absichtliche Sequenz in Abgrenzung zur unabsichtlichen?

  4. #4
    Zitat Zitat von Christian Bachmann Beitrag anzeigen
    Meine Frage dazu wäre: Was ist "der Comic selber"?
    Der Text und die Zeichnungen (images jeder Art). Also "Das Prinzip Comic". Nicht zum Comic gehören die Urheber, das Trägermedium, die Art der Verbreitung und inhaltliche Aspekte wie Genre oder Bezüge zu anderen Comics. Das kann alles aufschlußreich sein, entscheidet aber nicht darüber, ob etwas ein Comic ist oder nicht.

  5. #5
    Lukas Wilde
    Gast
    Aber diese Setzung ist doch selbst vollständig willkürlich. Warum soll eine semiotische Ebene bestimmender sein als eine technisch-apparative oder eine institutionelle? Man bemerkt doch etwa, dass das zum Beispiel in gleicher Weise für "Theater" gar nicht möglich wäre; semiotisch könnten wir "Theater" überhaupt nicht von Kirchenpredigten oder Universitätsvorlesung differenzieren, das gelingt nur anhand der Institution bzw. der sozialen Rahmung. Was ein Medium "selber" ist (und nicht nur der "Kontext") lässt sich nicht anhand des Gegenstands sagen, sondern nur über beobachterabhängige Vergleiche, die nach bestimmten Zwecken getroffen werden.

  6. #6
    Da kommen wir nicht zusammen.

    Wenn nicht der Comic selber die Grundlage einer Definition sein soll, kann man auf Basis dieser Definition auch keinen Comic einordnen.

    Um auf die bekanntesten Beispiele einzugehen: Wenn ein Comic laut Definition feststehende Figuren und massenhafte Verbreitung haben muß, kann ein einzelner Comic gar nicht bewertet werden. Wozu dient dann die Definition?

  7. #7
    Lukas Wilde
    Gast
    Dazu habe ich in dem "Definitions"-Thread ja schon einiges geschrieben... ich glaube, es geht ja auch gar nicht darum, "zusammen zu kommen", sondern interessantere Einsichten frei zu legen, warum man gegebenenfalls unterschiedliche Ansätze präferiert. Und da habe ich leider immer noch nicht verstanden, was "der Comic selbst" sein soll, bzw. aufgrund welcher Annahmen man eine formal-ästhetische Dimension zur Grundlage einer "Eigentlichkeit" machen sollte - außer eben Gewohnheit. Du sprichst vom "Prinzip Comic" und hast dabei vorentschieden, was alles Teil dieses "Prinzips" sein soll und was nicht, dafür aber gibt es keine zwingenden Gründe. Ich könnte ebenso gut sagen, es ist ein bestimmtes "Prinzip, Comic zu verwenden", ein bestimmtes "Prinzip, sich zwischen Hochkultur und Gegenkultur zu positionieren" (das ginge dann in Richtung einer Comic-Auffassung von Thomas Becker). Ein jeder "Comic" (ein jeder Gegenstand, der als "Comic" bezeichnet wird) 'ist' natürlich sehr viel mehr als eine formale Gestaltung, er 'ist' auch all das, was nicht Teil Deines Gestaltungs-"prinzips" sein soll ("die Urheber, das Trägermedium, die Art der Verbreitung und inhaltliche Aspekte wie Genre oder Bezüge zu anderen Comics"). Der Ein- und Ausschluss dieser Kriterien (in das "Prinzip") lässt sich nicht objektiv begründen - egal, ob wir da zusammen kommen oder nicht, egal ob wir die jeweiligen Kriterien für geeignet halten oder nicht. Um es möglichst deutlich zu sagen: Es geht mir *nicht* darum, zu sagen, dass ich Deine Auffassung vom "Prinzip Comic" für ungeeignet oder problematisch halte. Es geht mir darum, dass sie - egal, wie Du oder ich entsprechende Kriterien auswählst - niemals eine Beschreibung sein können, sondern eine politische Setzung bleiben müssen.

    Um das sichtbar zu machen, habe ich vorgeschlagen, diese "objektiven formalen Kriterien" auf andere Medien zu übertragen und zu zeigen, dass sie nicht übertragbar und daher in keiner Weise deskriptiv sind, sondern den Gegenstand erst hervorbringen, den sie zu beschreiben vorgeben (indem sie ihn als einen solchen, in diesem Fall einen semiotischen Gegenstand voraussetzen). Was wäre "das Prinzip Telefon", wenn nicht (auch) ein technologisches? Was wäre "das Prinzip Theater", wenn nicht (auch) ein institutionelles? Lässt sich die kommunikative Gattung des "Twitter-Posts" (vgl. Trump) semiotisch isolieren, um auf ein solches "Prinzip" (ohne Technik, Akteure, Netzwerke, Verwendungsweisen, kulturellen Status etc.) zu kommen? Sicher nicht. Wenn das an diesen Beispielen willkürlich und wenig hilfreich erscheint, dann ist es beim "Comic" ebenso willkürlich, wir sind hier nur daran gewöhnt. Wie Christian im anderen Thread schon schrieb: jede Definition ist willkürlich, manche wirken nur über Konventionen "naturalisierter" als andere. Nochmal: es spricht nichts dagegen, dieses *semiotische* Prinzip (etwa "sequenzielle Bilder") als äußerst Comic-relevant zu erachten. Aber das lässt sich überhaupt nur vertreten, indem man beides voneinander isoliert: es gibt den medialen Bereich "Comic", der durch viele unterschiedliche Dimensionen charakterisierbar ist (semiotischer, materieller, apparativer, institutioneller, kultureller etc. Natur). Und eine Dimension davon scheint Dir besonders wichtig. Damit hast Du aber bereits "Comic" und "sequenzielle Bilder" begrifflich getrennt - gut so! Alles andere wäre auch rein logisch ganz unmöglich.

  8. #8
    "Charakterisieren" ist eben etwas völlig anderes als "definieren". Wenn es heute besonders wichtig ist, daß ein Fußballer schnell ist, heißt das noch lange nicht, daß ein langsamer Spieler kein Fußballer ist. Und das sagt immerhin etwas über den Spieler aus. Wenn ein Comic massenhaft verbreitet ist, sagt das über den Comic selber gar nichts aus. Irgendein durchgeknallter Redakteur hat ihn halt in einem Massenblatt abgedruckt. Wahrscheinlich, weil er billig war.

  9. #9
    Lukas Wilde
    Gast
    Könntest Du einmal kurz versuchen zu erklären, was Du unter "dem Comic selber" verstehst...? Sicher kann damit nicht ein materieller Gegenstand gemeint sein, der im Museum hängen könnte, sonst hätten viele Comicleser nie einen Comic ("selbst") in der Hand gehabt. Mit digitalen Comics kommt man da noch schneller in die Bredouille, da existiert ja gar kein materielles Substrat. Es muss also irgendwie um eine reproduzierbare semiotische Abstraktion gehen. Auf welcher ontologischen Ebene wäre Dein "Comic selbst" also angesiedelt...? Ich hätte ein paar Vermutungen, möchte Dir aber nichts in den Mund legen. Vielleicht kommen wir so weiter!
    Geändert von Unregistriert (14.08.2018 um 13:44 Uhr)

  10. #10
    Der "Comic selbst" ist das, was man sehen kann: die Zeichnung und (sofern vorhanden) der Text. Nicht dazu gehören die Umgebung wie das Papier, der Computer, der Marmor, die Zeitung, das Internet oder Informationen aus anderen Quellen.

    Philosophisch wird es, wenn man "Schrödingers Comic" konstruiert, also einen Comic, den man nicht sehen kann, von dem man aber weiß, daß er existiert und was darin dargestellt ist.

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