Danke, das hilft weiter. Ich gehe mal genauer darauf ein.

Das neue Comic von Bendis, "Pearl #1", kann ich auf meinem Smartphone "sehen", oder in einer der tausenden von Reproduktionen der DC-Erstausgabe, oder bald im Trade Paperback. Was ich jeweils "sehe", sind sehr, sehr unterschiedliche Materialitäten. Beim Schwarz der Outlines zum Beispiel *sehe* ich tatsächlich SEHR unterschiedliche Dinge: Auf der Papierseite ist dies aufgetragene Farbe, auf meinem Smartphone die *Abwesenheit* von Beleuchtung. Dennoch, vermute ich, würdest Du nicht nur sagen, dass beides "Comics" sind, und nicht nur, dass beides "der selbe Comic" sind, sondern sogar, dass ich in beiden Fällen "den Comic selbst" (Pearl #1) *sehe*, korrekt? Das aber bedeutet, dass es um eine sehr abstrakte Kategorie gehen muss, die so etwas wie "das Werk" bedeuten müsste. Ein Konzept von "Werk" ist etwas, das (wie man mit Wiesing sagen könnte), "artifizielle Selbigkeit" herstellt: man kann eine konzeptuelle Vorstellung davon besitzen, bis zu welchen Grenzen verschiedene Artefakte noch der selben Autor_innenschaft zuzuschreiben sind - und daraufhin kann man feststellen, dass das, was man tatsächlich SIEHT, als das gleiche Werk gilt. Reproduktionen müssen demnach noch der gleiche Comic sein können, vermutlich auch Übersetzungen. Bei Eingriffen anderer Akteure (-> "Siggi und Barrabas") kann und muss man anfangen, graduelle Abweichungen zu diskutieren. Vermutlich kommt dabei auch eine Ebene der angenommenen Autor_innen-Intentionalität ins Spiel (wie das Werk "eigentlich gedacht war").

Plötzlich merken wir also: es geht hier vor Allem um Autor_innenschaft, anders können wir die "Selbsthaftigkeit" unterschiedlicher Fassungen und Variationen gar nicht beurteilen. Bei verschiedenen Schnittfassungen von Filmen wird es eine äußerst heikle Frage, was das eigentliche Werk "selbst" sein soll, gerade weil man auch nicht darum herum kommt, einen Begriff der *kollektiven* Autor_innenschaft mit zu entwickeln. Ist bei Theateraufführungen der einzelne Spielabend das Werk (des Ensembles), oder die Inszenierung (der Regisseur_in), oder nur der Text (einer Autor_in)? Alles interessante Fragen, aber keine davon führt näher zum "eigentlichen" Werk ("selbst"), das man wahrnehmen oder sehen könnte, nur zur Beleuchtung unterschiedlicher medialer Praxen, die man beurteilen und wertschätzen kann.

Zurück zum Thema: Gerade bei Comics scheint es mir zumindest fragwürdig, die völlig abstrakte Kategorie "Werk" überhaupt an (reproduzieren oder individuellen) Einzelausgaben anzusetzen und nicht mit ebenso guten Gründen die ganze Serie als das eigentliche Werk (= "den Comic selbst") anzusehen. In jedem Fall sind "Einzelbild/Seite/Heft/Serie" gewiss ebenso gemeinsame Aspekte des "Kommunikationszusammenhangs Comic" wie "Originalzeichnung/Reproduktion". Also sollten diese Skalen und Spektren vermutlich auch ebenso viel Gewicht in der Charakterisierung eines typischen und repräsentativen "Comicwerk"-Begriffs erhalten.