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Hybrid-Darstellung

  1. #1
    Der "Comic selbst" ist das, was man sehen kann: die Zeichnung und (sofern vorhanden) der Text. Nicht dazu gehören die Umgebung wie das Papier, der Computer, der Marmor, die Zeitung, das Internet oder Informationen aus anderen Quellen.

    Philosophisch wird es, wenn man "Schrödingers Comic" konstruiert, also einen Comic, den man nicht sehen kann, von dem man aber weiß, daß er existiert und was darin dargestellt ist.

  2. #2
    Lukas Wilde
    Gast
    Danke, das hilft weiter. Ich gehe mal genauer darauf ein.

    Das neue Comic von Bendis, "Pearl #1", kann ich auf meinem Smartphone "sehen", oder in einer der tausenden von Reproduktionen der DC-Erstausgabe, oder bald im Trade Paperback. Was ich jeweils "sehe", sind sehr, sehr unterschiedliche Materialitäten. Beim Schwarz der Outlines zum Beispiel *sehe* ich tatsächlich SEHR unterschiedliche Dinge: Auf der Papierseite ist dies aufgetragene Farbe, auf meinem Smartphone die *Abwesenheit* von Beleuchtung. Dennoch, vermute ich, würdest Du nicht nur sagen, dass beides "Comics" sind, und nicht nur, dass beides "der selbe Comic" sind, sondern sogar, dass ich in beiden Fällen "den Comic selbst" (Pearl #1) *sehe*, korrekt? Das aber bedeutet, dass es um eine sehr abstrakte Kategorie gehen muss, die so etwas wie "das Werk" bedeuten müsste. Ein Konzept von "Werk" ist etwas, das (wie man mit Wiesing sagen könnte), "artifizielle Selbigkeit" herstellt: man kann eine konzeptuelle Vorstellung davon besitzen, bis zu welchen Grenzen verschiedene Artefakte noch der selben Autor_innenschaft zuzuschreiben sind - und daraufhin kann man feststellen, dass das, was man tatsächlich SIEHT, als das gleiche Werk gilt. Reproduktionen müssen demnach noch der gleiche Comic sein können, vermutlich auch Übersetzungen. Bei Eingriffen anderer Akteure (-> "Siggi und Barrabas") kann und muss man anfangen, graduelle Abweichungen zu diskutieren. Vermutlich kommt dabei auch eine Ebene der angenommenen Autor_innen-Intentionalität ins Spiel (wie das Werk "eigentlich gedacht war").

    Plötzlich merken wir also: es geht hier vor Allem um Autor_innenschaft, anders können wir die "Selbsthaftigkeit" unterschiedlicher Fassungen und Variationen gar nicht beurteilen. Bei verschiedenen Schnittfassungen von Filmen wird es eine äußerst heikle Frage, was das eigentliche Werk "selbst" sein soll, gerade weil man auch nicht darum herum kommt, einen Begriff der *kollektiven* Autor_innenschaft mit zu entwickeln. Ist bei Theateraufführungen der einzelne Spielabend das Werk (des Ensembles), oder die Inszenierung (der Regisseur_in), oder nur der Text (einer Autor_in)? Alles interessante Fragen, aber keine davon führt näher zum "eigentlichen" Werk ("selbst"), das man wahrnehmen oder sehen könnte, nur zur Beleuchtung unterschiedlicher medialer Praxen, die man beurteilen und wertschätzen kann.

    Zurück zum Thema: Gerade bei Comics scheint es mir zumindest fragwürdig, die völlig abstrakte Kategorie "Werk" überhaupt an (reproduzieren oder individuellen) Einzelausgaben anzusetzen und nicht mit ebenso guten Gründen die ganze Serie als das eigentliche Werk (= "den Comic selbst") anzusehen. In jedem Fall sind "Einzelbild/Seite/Heft/Serie" gewiss ebenso gemeinsame Aspekte des "Kommunikationszusammenhangs Comic" wie "Originalzeichnung/Reproduktion". Also sollten diese Skalen und Spektren vermutlich auch ebenso viel Gewicht in der Charakterisierung eines typischen und repräsentativen "Comicwerk"-Begriffs erhalten.

  3. #3
    Lukas Wilde
    Gast
    Ganz abgesehen davon erklärt "Sichtbarkeit" (oder allgemeiner "Wahrnehmbarkeit") natürlich nicht, warum eine Einzelausgabe ein "Comic selbst" sein soll und nicht erst die komplette Serie. Bei einigermaßen guten Lichtverhältnissen habe ich keinerlei Schwierigkeiten, meine Sammlung an Akira-Bänden und viele andere Serien ganz hervorragend zu *sehen*.

  4. #4
    Zitat Zitat von Lukas Wilde Beitrag anzeigen
    (-> "Siggi und Barrabas")
    Da verwechselt du was –> Barrabas

    Zitat Zitat von Lukas Wilde Beitrag anzeigen
    Bei Eingriffen anderer Akteure (-> "Siggi und Barrabas") kann und muss man anfangen, graduelle Abweichungen zu diskutieren. Vermutlich kommt dabei auch eine Ebene der angenommenen Autor_innen-Intentionalität ins Spiel (wie das Werk "eigentlich gedacht war").


    Ja, es gibt Bearbeitungen, die aus einem Comic einen Nicht-Comic machen, aber es sind seltene Ausnahmen. Die "Prinz Eisenherz"-Bücher im Badischen Verlag z.B. oder die erste Folge von Hal Fosters "Tarzan", die in der englischen Erstveröffentlichung zu einem großen Textblock mit darüberstehenden Illustrationen ummontiert wurde. Die Veröffentlichungen amerikanischer Comics mit entfernten Sprechblasen und unter die Bilder gedichteten Paarreimen gehören nicht zwingend dazu. Die Ummontage machte aus Sprechblasencomics nur andere Comics (je nach Defintion natürlich).

    Die Kauka-Bearbeitungen von Asterix haben nicht im Mindesten am Comic-Sein von "Siggi und Babarras" gekratzt.

    Und dein Verweis auf Film ist noch merkwürdiger. Um aus einem Film einen Dia-Vortrag zu machen, muß man ihm schon sehr an die Substanz gehen. Es geht bei der Frage eben NICHT darum, was das eigentlich gemeinte Werk ist. Wenn nur ein Frame erhalten ist, läßt sich die Frage, ob es ein Film ist, nicht beantworten (es kann ja auch ein Foto vom Set sein), spätesten ab 24 aufeinander folgenden Frames ist die Sache aber klar. Und beim Comic ist eben bei einer Sequenz von zwei Bildern die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, daß wir von einem reden können.

  5. #5
    Zitat Zitat von Lukas Wilde Beitrag anzeigen
    Zurück zum Thema: Gerade bei Comics scheint es mir zumindest fragwürdig, die völlig abstrakte Kategorie "Werk" überhaupt an (reproduzieren oder individuellen) Einzelausgaben anzusetzen und nicht mit ebenso guten Gründen die ganze Serie als das eigentliche Werk (= "den Comic selbst") anzusehen.
    Ganz einfach aus praktischen Gründen. Natürlich ist es denkbar, daß die einzelne Folge ein Comic ist, die ganze Serie aber nicht, das ist aber ein konstruierter Sonderfall. Umgekehrt ist es wenig zielführend, bei Vorliegen einer einzelnen Folge die Einordnung in die Kategorie "Comic" mit Verweis auf das Nichtkennen der gesamten Serie zu verweigern. Und selbstverständlich kann man die Aussage ja auf diese einzelne Folge einschränken, wenn man Bedenken bezüglich der Serie hat. Im übrigen ändert es ja nichts am Comicsein der einzelnen Folge, wenn die gesamte Serie keine ist. Umgekehrt kann man schon mal diskutieren (bei einem Einbildwitz innerhalb einer Strip-Serie z. B.).

  6. #6
    Lukas Wilde
    Gast
    Nun scheint sehr viel durcheinander zu gehen, aber ich denke, es lässt sich auf eine Verwechslung und eine zirkuläre Argumentation herunterbrechen. Wir sollten zwei Ebenen deutlicher voneinander unterscheiden: ich nenne sie der Einfachheit halber einfach mal "Abstraktion 1" und "Abstraktion 2". Abstraktion 1 liegt vor, wenn wir aus einem Kontinuum von Akteuren, Ereignissen, Materialitäten und Prozessen ein "Werk" heraus abstrahieren. Abstraktion 2 liegt vor, wenn wir eine Summe dieser (so konstruierten) Werke einer noch abstrakteren Kategorie zuordnen - etwa "Comic" oder "Film".

    Zitat Zitat von Mick Baxter Beitrag anzeigen
    Wenn nicht der Comic selber die Grundlage einer Definition sein soll, kann man auf Basis dieser Definition auch keinen Comic einordnen. [...] Wenn ein Comic laut Definition feststehende Figuren und massenhafte Verbreitung haben muß, kann ein einzelner Comic gar nicht bewertet werden.
    Bei Dir gibt die zweite Ebene die erste stets vor. Du sprichst immer davon, man solle sich "einen einzelnen Comic" ansehen, um seine Comichaftigkeit zu diskutieren. Etwa hier:

    Zitat Zitat von Mick Baxter Beitrag anzeigen
    Der "Comic selbst" ist das, was man sehen kann: die Zeichnung und (sofern vorhanden) der Text. Nicht dazu gehören die Umgebung wie das Papier, der Computer, der Marmor, die Zeitung, das Internet oder Informationen aus anderen Quellen.
    Deine Abstraktion 2 (dein "Comic"-Verständnis) ist hier bereits vorausgesetzt, anhand derer Du Deine Abstraktion 1 (die Unterscheidung "Werk <-> Kontext") überhaupt erst generierst. Bereits auf Ebene 1 könntest Du die Massenmedialität mit hinzunehmen, oder die Serialität, oder beliebige andere Aspekte (die sich damit vom "Kontext" ins "Werk" verschieben), wenn Dein Verständnis der Gestaltungsform diese als relevant erachtet. Dazu zwingt aber natürlich nichts, ebenso wenig wie etwas gegen Deine spezifische Konstruktion spricht (gegen das, was "man sehen kann"). Tatsächlich aber sind BEIDE Ebenen ja nie "da", bevor wir sie in Definitionen, Evaluationen, Poetiken etc. erzeugt haben - oder in Frage gestellt haben. Und daher drehen sich Deine Annahmen auch immer im Kreis. Deine Werk-Definition geht aus Deiner Comic-Definition hervor, und daher kommt bei Deiner Werk-Untersuchung natürlich wieder Dein Comic-Begriff heraus. Daher willst und kannst Du die Frage nach Abstraktion 2 (was ein "Comic" ist) gar nicht offen stellen (und diskutieren), weil Du sie über Deine dadurch erzeugte Abstraktion 1 (Deine "Werk <-> Kontext"-Unterscheidung) bereits vorentschieden hast.

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