Alexander Braun weigert sich, die Definition von Comic, die er vor Jahrzehnten gehört hat, dem veränderten Forschungsstand anzupassen. Warum? Weil seine Reputation darauf beruht, dass er ein Spezialist der "Frühzeit der Comics" ist. Mit anderen Worten: Wenn er sein "Angebot" - und bei dem Ausstellungsmacher Braun kann man ja von einem kommerziellen Angebot sprechen - mit Einsetzen amerikanischer Zeitungscomics der Jahrhundertwende gleichsetzt, muss ihn alles, was andere aus vorhergehenden Zeiten als Comic benennen, diskreditieren. Also bleibt er, allem Wissen und allen Bekehrungsversuchen zum Trotz, stur dabei, der Comic habe erst um 1900 begonnen.

Ein Grund, den er immer wieder nennt, ist, man könne erst dann von Comic sprechen, wenn dieser Begriff auch im zeitgenössischen Sprachgebrauch gehandhabt wird. Damit meint er die Zeit um 1900. Blödsinn. Zum einen ist "comic" mit humoristisch zu übersetzen. In England gab es weit vor 1900 Magazine, die das Wort "comic" im Titel führten. Ein solches comic magazine entsprach dem deutschen Witzblatt. Zum anderen leitete sich Comic aus der Comic Section der US-Zeitungen ab, die aber anfangs nichts anderes waren als Humorbeilagen und keineswegs nur aus "Comics" bestanden. In Deutschland waren, wenn man so will, "Ulk" und "Eulenspiegel" solche comic sections.

Sprechblasen: Der früheste Sprechblasencomic, den ich kenne, ist aus dem ägyptischen Totenbuch des Hunefer (1300 v. Chr.). Hier handelt es sich nur um drei Szenen, aber bei der Berliner Eneide aus dem 13. Jahrhundert (siehe Deutsche Comicforschung 2013) erreicht ein Sprechblasencomic immerhin den Umfang einer heutigen "Graphic Novel".

Stehende Figuren: Der englische Ally Sloper von 1867 ist eine Stehende Figur, die Mitglieder der französischen Famille Fenouillard (1889) auch. Wenn Wilhelm Busch sein "Hans Huckebein, der Unglücksrabe" 1867/68 in der Zeitschrift "Über Land und Meer" in Fortsetzungen veröffentlichte, kann man auch hier von einer Stehenden Figur sprechen. Dasselbe gilt etwa für "Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeyer" von Schröder/Detmold (1848/49), das zunächst nicht als Buch, sondern in Einzellieferungen (Heften) erschien. Das sind nur einige Beispiele.

Die von Braun geforderte Massenauflage erreicht heute kaum ein gedruckter Comic mehr (aber andererseits jeder Internetcomic). Sie war erst möglich nach Erfindung der Schnellpresse und anderer technischer Innovationen des 19. Jahrhunderts, aber das Postulat, ein Comic müsse ein Massenmedium sein, kam erst mit dem Gedanken auf, ein in hoher Auflage verbreiteter Comic erreiche Massen von Lesern, sei also auch geeignet, Massen von Lesern zu beeinflussen. Ein typischer Gedanke der 70er Jahre, der dem Kommunisten David Kunzle nur recht war (nichts gegen Kommunisten oder gegen David Kunzle).

Heute (spätestens seit McCloud) geht man nicht von der Verbreitungsform (Presse, Heft, Buch) aus, um einen Comic zu beschreiben, sondern von der künstlerisch/literarischen Form des Originals. Natürlich zeichnet ein Comiczeichner Comics; sie werden nicht erst durch den Abdruck in der BILD-Zeitung zu solchen. Ein Comic kann später in verschiedener Art und Weise das Publikum erreichen: als Strip in der Zeitung, als Sammlung von Strips im Buch oder Heft oder eben auch im Internet. Jedesmal erscheint er anders und ist anders zu bewerten, aber es bleibt immer ein Comic.

Alexander Brauns Versuch, einen Comic zu definieren, ist hoffnungslos altmodisch, setzt sich über alle Erkennnisse hinweg und dient nur dazu, das eigene Denkmal zu zementieren.

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