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Thema: Definition

Hybrid-Darstellung

  1. #1
    Lukas Wilde
    Gast
    "..das Ergebnis der Forschung durch die eigene Definition vorher festzulegen".
    Man kann Definitionen sprach- und begriffsgeschichtlich erforschen. Dann untersucht man, wie konkret gesprochen wurde und wird, das ist legitim. Dabei geht es dann aber nur noch am Rande um die Gegenstände selbst, eher um die Institutionen und Akteure, durch welche sie betrachtet werden. Ansonsten kann man *anhand* einer (zwangsläufig arbiträren) Definition etwas anderes erforschen (beispielsweise Gemeinsamkeiten, Entwicklungen, Unterschiede, Einflüsse... was einen eben interessiert). An beidem kann ein Geldgeber ebenso Interesse haben wie ein Privatgelehrter, der das in seinem "stillen Kämmerchen" verfolgt. Beides wird nichts daran ändern, dass Begriffe nur selektive Werkzeuge sind, die in konkreten Praxen zum Einsatz kommen, nicht mehr und nicht weniger.

  2. #2
    Eckart Sackmann
    Gast
    Ich habe 2007 im Auftrag von Brockhaus eine Definition verfasst, die in Deutsche Comicforschung 2010 abgedruckt wurde
    http://www.comicforschung.de/definitioncomic.pdf
    und die ich immer noch für praktikabel halte. "Noch praktikabel" sage ich deswegen, weil ein wichtiger Punkt dieses Essays lautet:

    "Definitionen des Comic sind veränderlich und entsprechen in der Regel der zeitgenössischen Auffassung und dem Evolutionsstand der Form. Die Geschichtsschreibung des Comic ist abhängig von der Definition."

    Ich möchte anregen, den ganzen Text zu lesen. "Noch praktikabel" sage ich auch, weil die meisten heutigen Comics immer noch dem Standard der Form folgen, wie er im 20. Jahrhundert entwickelt wurde. Die naheliegende Weiterentwicklung durch die Möglichkeiten etwa des Internets (Flexibilität der Leserichtung, Querverweise) werden bisher nur wenig verfolgt - offensichtlich ist es das Anliegen der meisten Autoren von Internet-Comics, etwas "Druckreifes" zu liefern.

    Praktikabel ist diese Defininition (in der Nachfolge der Einflüsse von Scott McCloud), weil sie es erlaubt, möglichst viele verschiedene Arten von sequentieller Bild-Erzählung einzuschließen. Dass es sogenannte Grenzfälle gibt, in denen der Betrachter selbst vor der Aufgabe steht zu entscheiden, ob er einen Comic vor sich hat oder nicht, macht die Angelegenheit reizvoll.

    Noch einmal: Es gibt keine jederzeit gültige und allumfassende Definition der Ausdrucksform Comic. Es kann sie auch gar nicht nicht geben.

    eck@rt

  3. #3
    Eckart Sackmann
    Gast
    Bei einer Tagung der ComFor habe ich 2006 einen Vortrag über "Comics im Mittelalter" gehalten, an dessen Anfang der (soweit mir bekannt) älteste Comic steht, aus dem Totenbuch des Hunefer von 1300 v. Chr.
    http://www.comicforschung.de/tagunge...sackmann1.html
    Ich habe diesen Comic nur lesen könen, weil ich zufällig im Netz auf die Übersetzung von Michael Tilgner gestoßen bin:
    http://www.aegyptologie.com/forum/cg...08307&start=30
    Sonst hätte ich mir nur die Bilder und Hieroglyphen angesehen und aus meiner Kenntnis der Abläufe beim Wägen des Herzens gefolgert, dass es sich um mehrere Szenen handelt. Ich wäre aber nicht darauf gekommen, dass dies ein Sprechblasencomic ist, und wüsste nicht, dass damals die Sprache immer dem Mund des Sprechenden zufließt und dass dieser Fluss im Comic die Richtung wechselt.

    Ich erwähne das, weil wir bei "Comic" ganz natürlich vom Comicverständnis unserer Zeit ausgehen. Das Comicverständnis der Forscher der 60er Jahre war (mangels Wissen und abgeleitet aus der eigenen Erfahrung) ein anderes als unsers. Die Voraussetzungen dessen, der sich damals an einer Definition versuchte, waren andere als meine 2007, also war auch das Ergebnis ein anderes. Das Beschriebene, der Comic, blieb dabei derselbe (soweit es sich um Comics handelt, die vor 1966 erschienen sind).

    Unser Blick auf das zu Beschreibende hängt von unserem Wissensstand ab. So konnte ich Comics des Mittelalters erst als Comics identifizieren, nachdem ich in den 90ern McCloud gelesen habe. Seitdem gehe ich mit offeneren (gibt es das Wort?) Augen durch die Museen und Kirchen als vorher. Und ich finde Schätze, wie zum Beispiel die Berliner Eneide, die Dietrich Grünewald dann für Deutsche Comicforschung 2013 beschrieben hat. Nun stehen die Holkham Bible und die Egerton Genesis im Bücherregal neben Asterix und Watchmen.

    Ein Comic-Historiker muss wissen, und er muss neugierig sein.
    eck@rt=
    Geändert von Unregistriert (10.09.2018 um 09:18 Uhr)

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